Der Jakobsweg by Rohrbach Carmen

Der Jakobsweg by Rohrbach Carmen

Autor:Rohrbach, Carmen [Rohrbach, Carmen]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


In der Nähe, im Tal, liegt ein Dorf. Ich erkundige mich nach jemandem, der etwas über das westgotische Kirchlein weiß. »Ja, natürlich, da haben wir doch den Pedro!« Und hilfsbereit führt man mich zu seinem Häuschen. Pedro, sehr eilfertig, kommt aus dem Haus und will mich zur Anhöhe hinaufführen. Enttäuscht vernimmt er, ich käme geradewegs von dort. Ob er mir nicht etwas über die Kirche erzählen könne? Ja, selbstverständlich, er wüßte alles und schon schnurrt er seinen Text herunter. Für mich ist nichts Neues dabei. Ich gebe noch nicht auf, frage, warum zwischen manchen Steinquadern große Zwischenräume seien und wo die Steine von dem Langhaus geblieben wären? Er zuckt die Achseln, und weil ich immer noch nicht gehe, wird sein Blick betrübt und zugleich bittend.

»Meine Frau ist schon vor zwei Jahren gestorben«, sagt er. »Zwei Jahre sind eine lange Zeit«, jammert er. Ob ich nicht dableiben wolle? Er habe genügend Platz in seinem Häuschen, Wein sei auch vorrätig, und jede Menge zu essen. Ich verabschiede mich. Da, noch ein letzter Versuch: Er habe so ein schönes, großes Bett, ich solle es mir wenigstens mal ansehen.

»Nur einen einzigen Blick«, bittet er.

Von den kurz zuvor gespürten wilden eruptiven Leidenschaften ist mir nichts geblieben. Ich rechne mir aus, daß ich es vor Einbruch der Dunkelheit bis zum Kloster Silos schaffen könnte. Ohne Rast wandere ich weiter. Ich beeile mich und doch brauche ich noch Stunden. Wieder setzt die kastilische Landschaft ungezügelte Gefühle frei, mir ist gleichzeitig zum Weinen und zum Lachen zumute. Hoffentlich erreiche ich bald das Kloster, dort werde ich geborgen sein. Ich denke an die lächelnden Mönche in Yuso. Eingehüllt in ihre braunen Kutten, hießen sie mich willkommen. Lächelnd führten sie mich durch ihr Kloster, gaben mir zu essen und zu trinken. In Erinnerung an Yuso bewältige ich mehr als 50 Kilometer; ich hätte doch wissen müssen, daß man nicht zweimal das gleiche erleben kann.

Als ich das Gefühl habe, keinen Schritt mehr gehen zu können, jetzt gleich niedersinken zu müssen, sehe ich die roten Dächer von Silos. Das Kloster liegt nicht abseits der Siedlung, wie ich es mir erträumt hatte, sondern direkt im Dorf. Es ist von einer unglaublich hohen Mauer umgeben, höher als ein mehrstöckiges Haus. Der Anblick dieser Mauer, die keinen Blick auf das Klostergebäude gestattet, verunsichert mich. Mauersegler schreien und pfeilen schwarz durch die Abenddämmerung. Je näher ich komme, um so abweisender wirkt das Kloster. Ich drücke die Klingel neben der Pforte. Lange muß ich warten. Dann öffnet sich ein Guckloch, ich sehe ein Auge. Die Klappe fällt scheppernd über das Loch, aber die Pforte bleibt geschlossen. Geduldig harre ich wohl eine halbe Stunde aus. Dann wage ich noch mal zu klingeln. Ich bin so erschöpft, daß sich mein Bewußtsein verändert haben muß, denn ich fühle mich wie eine Pilgerin des Mittelalters, und um mir Mut zu machen, spreche ich meine verqueren Gedanken laut aus: »Laßt mich ein! Fürwahr, ich habe ein Recht darauf. Schließlich pilgere ich nach Santiago. Todmüde bin ich jetzt, geschunden an Leib und Seele. Habe mannigfaltigen Gefahren getrotzt.



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